Sowjets in Obersiebenbrunn 1945

Aus Dorfchronik
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Der Zweite Weltkrieg in Obersiebenbrunn im April 1945

Text von Mag. Günther Zier, 2010

Der Krieg im größeren Umfeld

Schwerpunkt der Kämpfe in Niederösterreich Ende März – Anfang April war die Schlacht um Wien. Wien wurde vom Westen und vom Süden in den letzten Märztagen eingeschlossen. Die 3. Ukrainische Front der Sowjets kam vom Südosten in den Wienerwald und begann vom Westen her Wien einzuschließen. Etwa ab dem 5. April drangen die ersten sowjetischen Truppen von Westen und Süden in die Stadt ein.
Zu diesem Zeitpunkt war der Norden und Osten Wiens noch vollkommen in der Kontrolle der Deutschen. Hier war die 8. deutsche Armee stationiert. Sie hatte die Aufgabe, vor allem die Erdölfelder um Zistersdorf zu schützen und die Überquerung der Russen über die March zu verhindern. Deutsche Truppen standen der 2. Ukrainischen Front der Sowjets gegenüber und kämpften entlang der March von Marchegg bis hinauf nach Hohenau.

Vergleich deutsche 8.Armee und sowjetische 2. Ukrainische Front

Die Sowjets hatten ihre Offensive am 25. März im Gebiet des Flusses Hron (Slowakei) begonnen und die deutsche 8. Armee war ständig auf Rückzug. Am Nachmittag des 5. Aprils betrat das deutsche 43. Armeekorps der 8. Armee österreichischen Boden. Erstmals mussten deutsche Soldaten auf österreichischen Boden gegen die Sowjets kämpfen. In aller Eile wurde entlang der hochwasserführenden March eine Widerstandsline aufgebaut.

Im zentralen Marchfeld, bei Obersiebenbrunn waren die deutschen Truppen sehr dünn. Rauchensteiner berichtet:

„Die einzige kampfstarke Division war die 96. Infanterie-Division, die soeben die Kämpfe um Bratislava hinter sich hatte und etwa in der Linie Marchegg-Engelhartstetten stand. Dieser Division waren vier Bataillone der ungarischen 27. Infanterie-Division unterstellt, die im Raum südlich von Breitstetten sicherten, sowie das MG-Bataillon 117, das bei Orth a. d. Donau Stellung bezogen hatte, den 8. April trafen dann jene Teile der 37. SS-Freiwilligen-Kavallerie-Divisioin im neuen Kampfraum vor der 46. Armee ein, die nicht schon beim I. SS-Panzerkorbs eingesetzt waren.“ (M. Rauchensteiner, 1995) Seite 153

Erste sowjetische Soldaten im Marchfeld

Die Sowjets erkannten die Lücke in der deutschen Abwehrfront und schickten ihre gesamte 46. Armee der 2. Ukrainischen Front über die Donau ins Marchfeld. Ein Teil dieser Armee zog auch durch Obersiebenbrunn.

Es gelang den Sowjets etwa 70.000 Mann über die Donau zu bringen.

„Knapp nach Mitternacht des 6. April begann das 57. Schützenkorps als Vorhut der 46. Armee mit einfachen Booten die Überquerung der Donau westlich der Marchmündung und bezog Stellungen am linken Stromufer nördlich von Hainburg.“ (M. Rauchensteiner, 1995) Seite 151

Etwas später, am 8. April im Morgengrauen, betraten sowjetische Soldaten bei Ort a. D. das Marchfeld. Es war das 260. Schützenregiment der 86. Schützendivison der 46. Armee mit ca. 700 Mann. Der Aufmarsch der Truppen im Marchfeld zum Angriff auf Wien sollte rascher gehen. Vor allem auch deshalb, weil die Sowjets die Flucht der Deutschen aus Wien über den Norden u. Nordosten verhindern wollten. Deshalb wurden bei Hainburg 2 Pontonbrücken errichtet.

„Zwischen Hainburg und Orth a. d. Donau wechselte vom 6. bis zum 14. April der Großteil der 46. Armee, und zwar das 10. Garde-, das 67. und 75. Schützenkorps sowie das 23. Panzer- und das 2. Garde-mech. Korps samt allen unterstellten Truppen, auf das Nordufer der Donau über, insgesamt rund 70.000 Mann mit ihren Waffen und Fahrzeugen. Es war wohl die größte Fluß-Übergangsoperation der letzten Kriegswochen. Und während der ganzen Operation war die Schlacht um Wien schon in vollem Gange.“ (M. Rauchensteiner, 1995) Seite 152

Aus den Kartenmaterial im Buch von Rauchensteiner, lässt sich schließen dass zwischen dem 7. und 10. April folgende sowjetische Truppenteile durch Obersiebenbrunn gezogen sind: Das 68. Schützen Korps, das 23. Panzerkorps und das 75. Schützenkorps. (M. Rauchensteiner, 1995) Seite 176. Siehe Karte

Wo wollten die Soldaten hin?

Die 46. Armee der Sowjets hatte die Absicht, Wien vom Marchfeld kommend, anzugreifen und bis zur Donau vorzudringen, um die Deutschen Soldaten zwischen Donaukanal und Donau, das sind der 2. und 20. Bezirk, einzuschließen. Für dieses Vorhaben brauchte die 46. Armee einen Entfaltungsraum. Dazu eignete sich das Marchfeld bestens: Ausreichend Platz die vielen Fahrzeuge unterzubringen und ausreichend Abstand vom zentralen Kampfgeschehen. Wahrscheinlich wurde der Raum Obersiebenbrunn als Bereitstellungsraum zum Sturm auf Wien vorgesehen, denn auf dem Weg nach Wien warteten schon ab Markrafneusiedl die Verteidiger mit ihrer ersten, dichteren Abwehrlinie.

Die „Hoffnung“ rasch nach Wien zu gelangen und in die Schlacht einzugreifen, wurde nicht erfüllt, weil die sowjetischen Truppen auf einer Linie Mühleiten – Obersiebenbrunn aufgehalten wurden und in heftige Kämpfe verwickelt wurden. Die Umfassungsabsicht der Sowjets war „nur zu auffällig geworden“, meint Rauchensteiner. (M. Rauchensteiner, 1995) Seite 178

Erste Gefechte mit den auf Wien zumarschierenden Sowjets gab es bei Mühlleiten und Großhofen. Im Raum Markrafneusiedl – Raasdorf – Glinzendorf bis Mühlleiten kam es zu einer heftigen Panzerschlacht! – Knapp neben Obersiebenbrunn vorbei. Das Ergebnis dieser Panzerschlacht war, dass der Vormarsch der Sowjets gestoppt wurde. Auch im Raum Leopoldsdorf – Breitstetten kam es am Russbach zu Gefechten des Grenadier Regiment 284 der deutschen 96. Infanterie-Division gegen die 46. sowjetische Armee, wahrscheinlich gegen das 2. Garde-mechanische Korps.

Ein Großteil der 2. Ukrainischen Front wurde bei der Überquerung der hochwasserführenden March von den deutschen Truppen stark behindert und griffen nicht mehr in der Schlacht um Wien ein, sondern zogen nach Nordwesten, um die Ölfelder um Zistersdorf zu erobern und die Tschechoslowakei zu befreien.

Flucht der Bevölkerung vor den Kampfhandlungen

Hier in Obersiebenbrunn war es wie überall im Weinviertel: Die meisten deutschsprachigen Einwohner verließen rasch ihre Häuser und flüchteten in das Hinterland. Es blieben trotz der nahenden sowjetischen Soldaten einige Bewohner hier, meist slowakisch sprechende Personen und auch die russischen, ukrainischen Kriegsgefangenen. Aufzeichnungen aus dieser Zeit finden sich in der Schulchronik und in Berichten aus der Gemeinde an die Landesregierung. Dr. E. Prem hat für sein Buch „Heimatbuch Obersiebenbrunn (E. Prem, 1990a) Seite 116 recherchiert und berichtet.

"Am 8. April (Sonntag) flüchtete der größte Teil der Dorfbevölkerung bis auf ungefähr 80 Personen nach dem Westen. Das eigentliche Flüchtlingsziel war Zwettl, jedoch erreichte der größte Teil nur Korneuburg und Stockerau. Auch Richtung Mistelbach führ ein Teil der Flüchtlinge. Er kehrte jedoch nach einigen Tagen schon wieder zurück, während die anderen mehrere Wochen ihrem Wohnort fernbleiben mußten. " (E. Prem, 1990b) Seite 116

Kämpfe in Obersiebenbrunn

"Am 9. April nachmittags kamen die ersten Russen nach Obersiebenbrunn. Auf der Untersiebenbrunner Straße war der Kampf hart. Die deutschen Truppen leisteten hinter der Parkmauer heftigen Widerstand. Die Häuser wurden durchschossen. Es gab Tote auf beiden Seiten. Die Russen wurden später unter militärischen Ehren auf dem Kirchenplatz und auf dem alten Ortsfriedhof begraben.
Am Nachmittag kamen die Russen vom Bahnhof her in das Dorf. Alle Keller wurden nach deutschen Soldaten durchsucht.
Russische Artillerie ging in der Ortschaft in Stellung und begann den Beschuß der deutschen Linie. Dadurch gingen fast sämtliche Fensterscheiben in Trümmer. Die Russen marschierten gegen Markgrafneusiedl. Harte Kämpfe erfolgten in der Kegelstatt (Waldende in Gegenlissen). Dort wurden mehrere deutsche und russische Soldaten begraben. An den folgenden drei Tagen bombardierten deutsche Flieger die russischen Nachschublinien. Dabei wurden auch in unserer Ortschaft einige Häuser getroffen (Nr. 23, 75, 70, 85 und 51)." (E. Prem, 1990a) Seite 118, 119

Die deutschen Truppen hatten keine wirkungsvolle Möglichkeit hier im Flachland die Sowjets aufzuhalten. Das offene Terrain bot hierzu nur geringe Chancen. Außerdem waren die Deutschen Soldaten anderwärts eingesetzt:

Die 8. Armee und ihr 43. Armeekorps waren mit der Verteidigung der Ölfelder in Zistersdorf beschäftigt und später auf dem Rückzug in Richtung US-amerikanischer Truppen. Weil auch Österreicher in der 8. Armee im Dienst standen, blieben einige gleich hier und wurden meistens von den Sowjets aufgegriffen.

Erster Kontakt mit den sowjetischen Soldaten

"Alle Keller wurden nach deutschen Soldaten durchsucht. Ungarn kamen aus ihren Verstecken und ergaben sich. Die Russen schüttelten ihnen die Hände. Ukrainische Arbeiter begrüßten ihre Landsleute.
Als Bürgermeister wurde Herr Alois Ort von den Russen eingesetzt. 17 Mann Ortspolizei wurden aufgestellt, geführt von Herrn Kalina. Ihre Aufgabe war, die übrigen Dorfbewohner zur Arbeit zu holen und einzuteilen (Säuberungsaktionen der leerstehenden Häuser). " (E. Prem, 1990c) Seite 116

Personenopfer in Obersiebenbrunn

"In den Hauskeller des Herrn Vorlicek auf der Gänserndorfer Straße fiel während der Kampfhandlungen ein Sprengkörper, wobei drei Kinder tödlich und mehrere andere schwer verletzt wurden.
Der Schüler Alfred Gajarsky (7 Jahre alt) verunglückte tödlich durch eine Handgranate, mit der er zu Hause gespielt hatte. Sein Bruder (13 Jahre) wurde dabei schwer verletzt. Auch Erna Bednar (13 :Jahre), die im selben Gebäude wohnte, erlitt durch den Luftdruck der Detonation innere Verletzungen und starb nach einigen Tagen im Krankenhaus.
Aus einem Bericht der Gemeinde: SS-Angehörige warfen in einen Keller, in dem sich Frauen und Kinder befanden, die sich gegen eine Evakuierung sträubten, Handgranaten, wobei drei Kinder getötet und drei schwer verletzt wurden (nach einem Auszug aus einem Protokoll aufgenommen von Leutnant der alliierten Armee Alfrede Leon Zugriegel). Diese waren Gertrude Valasek (tot), Pauline Halicek (tot), Ferdinand Vacenovsky (tot), Elfriede Pabeschitz (rechter Arm abgerissen), Hilde Pabeschitz (schwere Gesichtsverletzung), Walter Lahner (linke Hand abgerissen). Die Mütter erlitten leichtere Verletzungen." (E. Prem, 1990b) Seite 116, 118


Genauerer Bericht dieses Vorfalls eines Zeitzeugen:
eingebracht von Ing. Gerhard Frohner

9. April an der Gänserndorferstraße

(laut Peter Mahdalicek)

Die Bewohner der alten Reihenhäuser an der Straße nach Gänserndorf flüchteten, wegen der sich nahenden Front in den einzigen Keller dieser Gegend, zum Herrn Worlicek. In der Mansarde ist eine deutsche Funkstation eingerichtet. Die Russen rücken bereits in dichten Kolonnen auf der Untersiebenbrunner Straße an. Die SS will die Funkstation sprengen. Die Zivilisten werden aufgefordert den Keller zu verlassen, kommen dem Befehl jedoch nicht nach. Ein SS-Mann wirft eine Handgranate in den Keller. Dies hat eine verheerende Wirkung:

Die Tochter der Frau Valasek ist sofort tot und wird später im Park begraben.
Fredi Vacenovsky ist tot, ihm wurde der Kopf abgerissen.
Pabeschitz Elfi verliert die die Hand bis zur Achsel.
Walter Lahner verliert die linke Hand.
Pabeschitz Hilde hat im Gesicht und am ganzen Körper Splitter.
Mutter Mahdalicek hat Splitter in der Bauchgegend.

Dieser SS-Mann kommt nicht weit. Bei der Parkmauer trifft ihn eine Kugel. Er wird später an der Parkmauer begraben. Alle flüchten in den Park in Richtung Schloss. An der Parkmauer Untersiebenbrunnerstraße sind MG-Stellungen. Der Kommandant der Deutschen Soldaten ist Oberleutnant Keitel, der Bruder von Feldmarschall Keitel. Die Russen rücken in einer dichten Panzerkolonne vor. Als die Zivilisten zum Schüttkasten kommen sind die Russen auch schon beim Schloss und schlagen mit Gewehrkolben bereits die Fenster ein. Die Verwundeten werden im Schüttkasten von russischen Ärzten erstversorgt. Der Widerstand hört auf und die Panzer räumen die bei der alten Gendamerie als Panzersperre stehende Dreschmaschine zur Seite.

Gebäudezerstörungen durch den Krieg

"Nach einem Luftangriff auf Wien im Sommer 1944 wurden auch über unserer Ortschaft einige Bomben abgeworfen (Notabwürfe eines brennenden amerikanischen Flugzeuges). Dabei wurden die Häuser Nr. 35,75 und 28 getroffen.
An den folgenden drei Tagen (nach dem 9. April, anm. G.Zier) bombardierten deutsche Flieger die russischen Nachschublinien. Dabei wurden auch in unserer Ortschaft einige Häuser getroffen (Nr. 23, 75, 70, 85 und 51)." (E. Prem, 1990d) Seite 116

Unser Kirchturm zeigt in den Holzbalken des Glockenstuhls den Einschlag eines etwa 10 cm großen Geschoßes. Es ist aber unbekannt, woher dieser Schuss kam.


Literatur

Prem, E., Heimatbuch Obersiebenbrunn, Obersiebenbrunn: Marktgemeinde Obersiebenbrunn, 1990

Rauchensteiner, M., Der Krieg in Österreich '45,: Österreichischer Bundesverlag, Wien: 1995

Fotos,Grafiken

Übersicht der Truppenbewegungen im Weinviertel im April 1945
zum Vergrößern Bild anklicken, Quelle: Rauchensteiner, M., Der Krieg in Österreich '45, Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1995

Truppenbewegungen im Weinviertel im April 1945