Stukas auf der Heide

Aus Dorfchronik
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Stukas auf der Heide

Sturzkampfbomber JU87, 1943
Sturzkampfbomber JU88


Eine Betonbombe in der Heide, 1940. Bild: H. Pacholik
Betonbombe in der Heide, in den 1940er Jahren. Foto: Kirchlner, Bildquelle: Pacholik


Stuka statt Lercherl

Beitrag zur Geschichte von Obersiebenbrunn, Gänserndorf und Weikendorf

Autor: Ing. Alfred Prager


Begriffserklärung: Die rund um den 2. Weltkrieg geläufige Abkürzung "Stuka" leitet sich ab von "Sturzkampf Bomber". Deren Piloten fliegen mit der Längsachse ihrer Flugzeuge im Sturzflug direkt in Richtung des Zielobjekts, lösen in möglichst geringer Höhe ihre Bomben aus und lenken die Maschine erst nach dem Abwurf der Bomben auf Horizontalflug. Danach setzen sie sich vom Feind fluchtartig ab.

Dieses Manöver setzt geeignete Flugzeuge, gehöriges fliegerisches Können und außerordentlichen Mut der Piloten voraus. Daraus ergibt sich eine große Treffergenauigkeit, was vor allem bei den relativ kleinen Zielen im Seekrieg entscheidend ist. Diese Taktik war von der Deutschen Luftwaffe zur Perfektion exerziert und erstmalig im spanischen Bürgerkrieg zunächst auf Landziele eingesetzt worden. Ich erinnere mich an ein Luftbild eines genau in eine Straßenkreuzung gesetzten Bombentrichters irgendwo in Spanien.

Um die prompt zu erwartende internationale Empörung wegen des Eingreifens in Spanien vor allem durch die marxistisch geprägten Zeitungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde offiziell nicht die deutsche Luftwaffe selbst, sondern eine so genannte Legion Condor nach Spanien in Marsch gesetzt. Das war angesichts der offiziösen Unterstützung der spanischen Linken durch die Komintern ein diplomatischer Trick. Die UdSSR, aber auch Frankreich und sogar die USA griffen ebenso indirekt durch Freischärler auf Seiten der Roten in diesen Stellvertreterkrieg ein, Italien und Deutschland unterstützten ihrerseits die Falangisten von Generalissimo Franco. Der spätere Luftkrieg konnte so ohne wesentliche eigene Verluste auf Kosten der spanischen Bevölkerung erprobt werden, Übrigens hatte auch die UdSSR Flugzeuge nach Spanien gesendet, zum Beispiel Jagdflugzeuge des Typs Rata, allerdings mit bescheidener Wirkung. Der spektakuläre Erfolg des Einsatzes der Stuka überzeugte Hitler und seine Militärs.

Zu Beginn des im Herbst 1939 von Hitler vom Zaun gebrochenen Wettkriegs feierte die deutsche Luftwaffe mit dieser eben erprobten Taktik spektakuläre Erfolge. Im weiteren Verlauf des Krieges fügten die Japaner mit ähnlichen Einsätzen der US-Marine und der englischen Royal Navy empfindliche Verluste zu.

Bei uns im Marchfeld hatte sich am Rand eines im 19, Jahrhundert aufgeforsteten Schutzgebietes eine Heidelandschaft erhalten inmitten von Wäldern aus Weiß- und Schwarzföhren. Diese kaum von der Landwirtschaft nutzbaren Flächen boten sich unmittelbar nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich schon im Frühling des Jahres 1938 als kleiner Truppenübungsplatz an. Als es zu Beginn des Jahres 1941 zwecks Unterstützung der schwächenden italienischen Bundesgenossen im Mittelmeerraum zum Einsatz der deutschen Luftwaffe in dieser Region kam, richtete diese auf der Weikendorfer Heide einen Übungsplatz ein.

Als Zielscheibe für Maschinengewehrbeschuss von Flugzeugen aus war dort ein Gerüst aus Holz mit einer Bespannung aus gefärbtem Sackleinen aufgestellt worden. An eine tatsächliche Verwendung dieser Anlage erinnere ich mich nicht. Ebenso blieb der neben diesem Übungsplatz gelegene Zielplatz für Bombenabwürfe zunächst unzugänglich. Ab sofort galt die weite Umgebung der Heide als militärisches Sperrgebiet und war daher für uns neugierige Lausbuben fürs erste tabu. Sicherlich fanden wir zwar alles kriegerische sehr spannend, hatten aber doch gehörigen Respekt vor der Obrigkeit sowie der Wirkung moderner Waffen.

Den Bombenabwurfplatz habe ich trotzdem aus zwei Gründen in sehr guter Erinnerung. Erstens diente mir der dort errichtete Beobachtungsturm nach Einstellung der militärischen Verwendung bis zum Ende des Krieges als Startplatz für Versuche mit Flugmodellen eigener Konstruktion; zweitens verrotteten die Überbleibsel der Zieleinrichtungen für die Bomben sehr langsam und waren noch lange noch Kriegsende deutlich erkennbar, ebenso die Reste der Bombenattrappen, Ich glaube, dass schon ab dem Sommer 1942, mit Auslaufen der Kampfhandlungen im Mittelmeer, die Zielübungen auf der Heide eingestellt worden sind.

Für den Einsatz der deutschen Flugzeuge gegen die englische Marine war quasi als Zielobjekt ein Schiff in den ungefähren Abmessungen eines Kreuzers von ungefähr 110 m Länge und 30 m Breite durch weiß gestrichene Bretter als eine Art Bank in einem halben Meter Höhe über dem Rasen der Heide angelegt worden. Dieses Ziel hatte etwa die Ausrichtung Ost-West. Den verwundbarsten Teil eines Schiffes deutete im Zentrum des Umrisses ein Rechteck von ungefähr 12x15 m an. Es sollte die Lage der besonders empfindlichen Kommandobrücke kennzeichnen.

Wahrscheinlich schon in den Frühlingstagen des Jahres 1942 hatten sich in geringem räumlichen und zeitlichem Abstand zwei Abstürze von übenden Stukas in unmittelbarer Umgebung der Heide ereignet.

Damals war die erfolgreiche Zeit der einmotorigen Legende, des Stuka Junker J 87 längst vorbei, diese Maschinen waren mittlerweile technisch veraltet und durch die zweimotorige Ju 88 abgelöst worden. Staffeln dieses neuen Bombers waren in Wien Aspern stationiert und unternahmen von dort aus regelmäßig Übungsflüge nach Obersiebenbrunn bzw, richtiger über die Weikendorfer Heide, um auf das beschriebene Zielschiff ihre Bombenattrappen abzuwerfen.

Die Maschinen trugen neuerdings einen Tarnanstrich} welcher dem Einsatz im Mittelmeerraum entsprach. Zeitgleich beobachteten wir auf der Nordbahn lange Züge mit Kübelwagen des Typs Volkswagen, anderen Fahrzeugen und allerlei Waffen auf dem Weg nach dem Süden. Diese waren für den Kriegsschauplatz Nordafrika ebenfalls mit sandgelber Tarnfarbe lackiert; kleine grüne Flecken imitierten Grasbüschel. Das Abenteuer der Expedition Afrikakorps war voll im Gang.

Die von den Stukas abgeworfenen Übungsbomben bestanden aus einem absichtlich sehr brüchigen Beton mit den üblichen Leitblechen am Heck. Sie hatten die Abmessungen, die Aerodynamik und das Gewicht richtiger Bomben von ungefähr 500 kg. Beim Aufprall auf dem Boden zerbröselten diese Attrappen in viele Teile. Dabei zersprangen auch die in kleinen Holzkästchen rundum eingelassenen Phiolen mit je ungefähr 300 ml Oleum Diese rauchende Schwefelsäure markierte für die Flugmannschaften selbst und die Beobachter am Boden deutlich sichtbar den Treffpunkt der Bombe in Form weißer Wölkchen. Der so genannte Rauch des Oleums entsteht durch die stark hygroskopische Wirkung der Säure. Diese zieht die Luftfeuchtigkeit aus der nahen Umgebung an und das Kondensat bildet eine kleine NebeIwolke aus gesättigtem Wasserdampf. Dabei kann absolut kein Brand entfacht werden. Auch andere Dauerschäden konnte die geringe Menge der Säure nicht anrichten. Einzelne der gläsernen Behälter blieben beim Aufprall übrigens unversehrt und dienten mir häufig als kostenlose Quellen konzentrierter SchwefeIsäure für meine bubenhaften chemischen Versuche.

Zur Beobachtung der Szenerie vom Boden aus, war in einem Sicherheitsabstand von mindestens 100 m vom Zielpunkt entfernt in westlicher Richtung ein Turm aus Baumstämmen errichtet worden. Der befand sich nahe der Dreigemeindenecke der Heide, in der Nähe der Einmündung des Zufahrtsweges aus Obersiebenbrunn. Die Plattform für die Beobachter war ungefähr in 25 m Höhe angebracht. Ob die Verständigung vom Turm zum Fliegerhorst per Funk oder Telefon erfolgte, weiß ich nicht zu sagen. Eine eventuelle Verständigung mit den Flugzeugen kann nur auf Funkbasis erfolgt sein. Mit dem Fliegerhorst Aspern könnte auch per Telefon über eine der vielen kreuz und quer im Land liegenden Telefonkabel und Leitungen gesprochen worden sein. Der uneingeschränkte Funkverkehr war noch nicht allgemein üblich.

Übrigens lebten allfällige Beobachter auf dem Turm gar nicht ganz ungefährlich, hatten doch die überwiegende Mehrzahl der schweren Betonbomben ihr Ziel mitunter weit genug verfehlt und sich dabei auch in unmittelbarer Nähe des Turms in den weichen Sandboden der Heide gebohrt. Meines Wissens ist jedoch niemals der Turm selbst getroffen worden oder ein Mensch des Bodenpersonals dort zu Schaden gekommen.

In der Realität des Seekrieges hätten scharfe Bomben wohl vorwiegend malerische Wasserfontänen mehr oder weniger weit neben die feindlichen Schiffe ins Mittelmeer gepflanzt.

Wahrscheinlich während der Schulferien 1942 interessierten uns Buben von der Straßenkreuzung nach Gänserndorf bzw. Untersiebenbrunn aus nicht die hoch in der Luft über dem Marchfeld jubilierenden Lercherl, sondern die laufend in etwa 2000 m Höhe über uns hinweg donnernden Flugzeuge. Mancher von uns wäre dort oben wohl gerne dabei gewesen. Das Heulen der Bomber bot uns in sicherer Entfernung Unterhaltung vom feinsten.

Bei so einer Gelegenheit war uns eines Tages im Anschluss an einen der waghalsigen Sturzflüge das Verschwinden einer Ju 88 unterhalb des Waldhorizonts aufgefallen. Wenige Sekunden später war nach einem undefinierbaren Getöse auch das infernalische Fluggeräusch abrupt abgerissen. Die Maschine tauchte nicht wieder auf. Anschließend verschaffte uns eine aufquellende Rauchwolke die interessante Gewissheit. Uns war augenblicklich klar: Der Stuka muss abgestürzt sein. Sofort haxelten wir mit unseren Fahrrädern los in Richtung Heide. Ungefähr nach einer Viertelstunde erreichten wir die Absturzstelle, Vor uns waren nur einige wenige Fliegersoldaten am Unfallort eingetroffen, wahrscheinlich die Männer des Beobachtungspostens vom Turm.

Die Trümmer der zerborstenen Unglücksmaschine lagen über die Fläche eines riesigen Dreiecks verstreut. Ausgehend von einer flachen Mulde in einem Acker übersäten unkenntlich zerfledderte Aluminiumteile ein etwa gleichschenkeliges Dreieck von mehr als 600 Metern Seitenlänge. Die kompaktesten und schwersten Teile stellten die beiden Triebwerke dar. Deren rundliche Metallblöcke waren infolge ihrer Masse und der hohen Geschwindigkeit besonders weit in Flugrichtung gekugelt bis an die Endpunkte des Trümmerdreiecks.

Unter den Wrackteilen der Maschine konnte ich keine für mich verwertbaren technischen Teile finden. Ich hatte deshalb Muße, das Chaos genau zu betrachten.

Die Soldaten hatten inzwischen begonnen, sich um die Besatzung zu kümmern, besser gesagt um deren Überbleibsel. Üblicherweise befanden sich in dieser Version der Ju 88 vier Mann an Bord. Pilot und Kopilot waren meist junge Offiziere, die übrige Mannschaft niedrigere Chargen. Mir war sofort klar Keiner der Männer konnten den Aufprall überlebt haben. Die größeren Teile ihrer Körper waren vor allem anhand der Uniformteile und an den in Fetzen gerissenen weißen Fallschirmen zu entdecken. Diese makabren Reste wurden von den Helfern jeweils auf einem Sammelplatz zusammen getragen. Dabei betteten die Soldaten ihre toten Kameraden in vier ungefähr gleich großen Bündeln. An die Aussage eines der diese grausige Arbeit leitenden Soldaten erinnere ich mich bis heute, 65 Jahre danach: "Das ist der Leutnant sowieso, das der Beobachter sowieso ..." Sehr bald wurden wir Buben als naseweise Zuschauer von der Stätte des Grauens weg gescheucht.

Weil ich meine dürftigen Physikkenntnisse in der schrecklichen Praxis anwenden konnte, rekonstruierte ich den Unfallhergang:

Die Maschine musste am Ende ihres gewagten Zielanflugs bei einer Höchstgeschwindigkeit von etwa 600 km/h durch den Piloten auf Steigflug hoch gezogen worden sein. Dieses Manöver war sicherlich um Sekundenbruchteile zu spät eingeleitet worden. Deshalb hatte das Flugzeug den weichen Sandboden mit seiner spärlichen Vegetation in einem äußerst flachen Winkel nur leicht gestreift.

Aus technischen Berichten hatte ich schon vor diesem Ereignis entnommen, dass in dieser Endphase des Sturzflugs die Piloten wegen der extrem hohen Beschleunigung durch die Richtungsänderung einen plötzlichen Blutmangel im Gehirn erleiden können. Für Sekunden konnten sie sogar das Bewusstsein verlieren. Diese enorme Belastung soll für den menschlichen Organismus kaum erträglich sein. Ob es so weit gekommen war, oder ob der Pilot vielleicht aus Ehrgeiz einfach nur zu spät die Maschine abgefangen hatte, wird ewig ein Rätsel bleiben.

Der Rumpf der Ju 88 hatte in ungefähr 400 m Entfernung nach dem Ziel auf dem Gemeindegebiet von Gänserndorf eine ganz flache Furche in den Boden gepflügt. Die Spuren der von diesem Auftreffpunkt aus zerstobenen Trümmer hatten den weichen Boden in Flugrichtung etwa nach Nordwesten über eine kaum überschaubare Fläche von ungefähr 12 ha übersät.

Mir war bekannt, dass es in dieser Phase des Krieges bereits unzählige Versuche gab, derart grässliche Unfälle zu vermeiden. Schon bei der Ju 87 waren unter den Tragflächen ausklappbare Sturzflugbremsen angebracht worden, um die Endgeschwindigkeit zu reduzieren. Bei einem späteren Gespräch mit einem ehemaligen Piloten der Luftwaffe erklärte mir dieser am Beispiel der Do 217, einer anderen speziell für den Einsatz als Stuka konstruierten Dornier Maschine, dass diverse Bremseinrichtungen zu bedrohlichen Störungen der ausgewogenen Aerodynamik der Flugzeuge ausgerechnet zum kritischen Zeitpunkt des Manövers führen konnten. Nach etlichen daraus gefolgerten Unfällen wurden deshalb diese Einrichtungen nicht gerne verwendet.

Inzwischen war auf dem Schauplatz weiteres Militär eingetroffen und hatte uns Buben endgültig vom Unfallort gewiesen. Aus respektabler Entfernung beobachteten wir weiter die Szenerie.

Etwa eine Stunde nach dem grässlichen Absturz umkreiste eine Ju 88 in geringer Höhe die Unfallstelle und warf über dem Wrack einen Kranz ab zum Gedenken an ihre Kameraden. Diese Geste hat mich sehr berührt, konnte den armen Teufeln aber nicht mehr helfen.

Ob bei späteren Übungen tatsächlich noch eine zweite Maschine auf vergleichbare Weise am Rand der Heide abgestürzt ist, könnte ich nicht beschwören.

Das kaum landwirtschaftlich nutzbare Areal im Anschluss an die Weikendorfer Heide - für uns Obersiebenbrunner: die "Siebenbrunner Had" -hatte sich für die oben geschilderte Verwendung geradezu angeboten; auch die Rote Armee benutzte später vergleichbare Flächen des anschließenden Gutes Neuhof in Untersiebenbrunn ebenfalls für ähnliche Zielübungen, nur mit dem Unterschied, dass die Russen dort scharfe Bomben abwarfen, zum Teil scharfe Beutemunition aus deutschen Kriegsrelikten. Die Rote Armee verwendeten zum Beispiel Granaten mit für den Bombenabwurf umgebauten Zündern. Der dadurch geschädigte Eigentümer des Gutshofes galt für die sowjetische Besatzungsmacht als böser Kapitalist, auf den brauchte sie deshalb keinerlei Rücksicht nehmen. Ungefähr 1952 zeigte mir dieser Herr Lahner eine Luftaufnahme seines Besitzes. Es waren gegen 1000 Bombentrichter darauf zu zählen.


Bild: Abgestürztes Beobachter-Flugzeug. Sehr wahrscheinlich ein Polikarpow U-2 (Po-2) mit 115 PS und 11,4 Meter Spannweite. Quelle: "Die großen Luftschlachten des Zweiten Weltkriegs", Kaiser-Verlag. Bildquelle: E. Wawra. Heide 1940er Fieseler Storch.jpg